In seiner Biografie Hugo Junkers – Das Leben ist Kampf erwähnt Armin Fuhrer einen Bericht der russischen Schriftstellerin Larissa Reissner, die im Jahr 1925 während einer Deutschland-Reise die Junkerswerke in Dessau besuchte. Ihr Beitrag erschien (posthum) im August 1928 in der Zeitschrift Der Sturm
Junkers Herz schlägt verborgen in dem unansehnlichen einstöckigen Häuschen, das abseits von den geschäftigen Büros .. und abseits vom Flugplatz liegt, den der Wind der Propeller glatzköpfig gemacht hat. Es ist das wissenschaftliche Forschungsinstitut, chemisches Laboratorium und Archiv. Kenner wollen wissen, daß es in ganz Europa nichts Ähnliches gibt. Die ganze hier aufgestapelte wissenschaftliche Arbeit gründet sich auf tiefstem Mißtrauen zum Material. Das Laboratorium der Junkers- Forscher ist eine Arena, wo Metalle gleich Champions um die Weltmeisterschaft kämpfen. Jedes kann am Wettstreit teilnehmen: Erzeugnisse der bekanntesten Firmen und unsichere Neulinge, die den Markt zum ersten Mal betreten. Der KruppStahl hat seine Sicherheit jeden Tag von neuem nachzuweisen. ..
Ein Metall, das in Junkers bescheidenem Laboralorium seine Reifeprüfung erlangte, hat seine Karriere gemacht. Erst als das helle weiße Aluminium sämtliche Mitbewerber geschlagen hat, entschloß sich der Professor dazu, es für den Bau seiner Flugzeuge zu verwenden. Mehr als zwölf Konkurrenten kämpften um ihre Eignung als Material für Motor, Räder, Achsen und Flügel. Ein Metall hat die Epidermis eines Eskimo und fürchtet keine Kälte, ein anderes — .. setzt sich gleichmütig tropischen Hitzegraden aus. Die Prüfung der Rohstoffe beginnt nicht mit den aus ihnen verfertigten Gegenständen, sondern mit ihren Atomen. Das Metall kommt unter das Mikroskop, wird röntgenisiert. Die geringste Unregelmäßigkeit in der Lagerung seiner Kristalle genügt, um einen ganzen Warenposten außer Konkurrenz zu setzen. …
Eine besondere Maschine sorgt dafür, daß das in ihren Klauen liegende Material keine Sekunde einschlafen kann. Tag und Nacht schüttelt sie die Metallstreifen, und die vor Schlaflosigkeit irrsinnig gewordenen Prüflinge zittern fieberhaft, zittern im Rhythmus des dahinsausenden Flugzeugs. In einer anderen Ecke sieht man die Feder eines Ventilkegels stundenlang auf- und niederspringen; ein Beobachter blickt durch ein besonderes Rohr in das glühende Innere und notiert die geringste Veränderung. Hier werden alle Unglücksfälle provoziert, die einem Flugzeug überhaupt passieren können. Jeder Defekt, jede Katastrophe wird in ihrer Wirkung auf jeden einzelnen Teil des Flugapparates festgestellt. Alle Materialien, alle Gegenstände, die hier geprüft und der Einwirkung der Schwere, Kälte, Hitze, der Spannung und Schlägen ausgesetzt werden, bilden zusammengenommen ein in seine kleinsten Teile zerlegtes Flugzeug. Und dieses Flugzeug macht Weltreisen, kämpft mit Stürmen und Flammen, stürzt herab, ertrinkt und brennt, erlebt zahllose gefährliche Abenteuer, ohne seinen Platz, dieses kleine Laboratorium zu verlassen. Die Chinesen schätzten ihre Ahnen nicht so sehr, wie die Gelehrten dieses Laboratoriums die bei den Versuchen entstellten Metallstücke. Wie eine Reihe unvergeßlicher Warnungen werden sie in der peinlichsten Ordnung in Schränken aufbewahrt.
An anderer Stelle heisst es1Wo Zweifel fehlt, kann auch kein wissenschaftliches Denken sein.:
Eine für Junkers typische Vorgehensweise, die sich als stabiles Erfolgskonzept erweisen sollte, war die bereits beschriebene permanente Verknüpfung von technischer Grundlagen- und Anwendungsforschung sowie die Überleitung ihrer Ergebnisse in die Entwicklung und Fertigung von Erzeugnissen auf hohem Qualitätsniveau. Dem entsprach seine kritische Einstellung gegenüber Althergebrachtem: Wo Zweifel fehlt, kann auch kein wissenschaftliches Denken sein.
Technische Endgültigkeit bezweifelte Junkers prinzipiell, folglich akzeptierte er auch nicht die technischen Entwicklungszustände seiner Zeit. Diese Sichtweise ermöglichte es ihm, jedes technische Ding, so vollkommen es zunächst auch erscheinen mochte, nur als Zwischenresultat in einem andauernden Schöpfungsprozess zu betrachten, der in logischer Folge eine Neuerung an die nächste reiht und auf diese Weise kontinuierlich von niederen zu höheren Entwicklungsstufen führt.
Junkers hat seinen Forschungen alles andere untergeordnet. Die Absatzerfolge seiner Erzeugnispalette hatten vor allem die Funktion, die finanziellen Mittel für den ununterbrochenen Forschungsfortgang zu erbringen. Damit waren gravierende Wirkungen auf das innerbetriebliche Leistungsniveau verbunden. Im Jahre 1924 hatte sich die international bekannte Schriftstellerin Larissa Reißner aus der einstigen Sowjetunion in Dessau aufgehalten, die Junkers-Betriebe besucht, Forschungs- und Arbeitsabläufe studiert und später die gewonnen Eindrücke beschrieben: „Bei all seiner Vollkommenheit erinnert das Junkers-Werk eher an eine Universität … denn an eine Fabrik.