Dr. Denys Makarov vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) hat einen ERC Advanced Grant in Höhe von 2,5 Millionen Euro zuerkannt bekommen. Damit können er und sein Team in den nächsten fünf Jahren eine vielversprechende Materialklasse untersuchen – die sogenannten Multiferroika. Ziel ist die Entwicklung von neuartigen Materialien, auf deren Grundlage Computerchips in Zukunft erheblich energieeffizienter arbeiten könnten als bislang. Insbesondere Anwendungen der künstlichen Intelligenz (KI) sollen dadurch deutlich sparsamer laufen.
Von Smartphones über Laptops bis hin zu Serverfarmen, die die Cloud-Infrastruktur bilden: Sie alle basieren auf Halbleitertechnologien, die zwar leistungsfähig, zugleich aber auch energieintensiv sind, wenn sie auf neue Technologien wie KI-bezogene Aufgaben angewendet werden. Bemerkbar macht sich das etwa bei der Nutzung von KI-Algorithmen wie ChatGPT. „Stellt heute jemand eine Anfrage an ChatGPT, wird sie zunächst an die Cloud gesendet“, erläutert Makarov. „Dort wird sie verarbeitet, die Antwort kommt dann zurück an den User. Das alles kostet Energie.“ Effizienter wäre es, der Algorithmus würde direkt auf dem Smartphone ausgeführt. Allerdings wäre das so rechenintensiv, dass die derzeitigen Smartphone-Prozessoren schnell heißlaufen und den Akku rasch leeren würden.
Deshalb setzt das Team um Makarov am HZDR-Institut für Ionenstrahlphysik und Materialforschung auf eine Materialklasse, die eine effizientere und damit sparsamere Elektronik verspricht – die sogenannten Multiferroika. Bestimmte Materialien können entsprechend ihrer ferroischen Eigenschaften klassifiziert werden, die die ihnen innewohnende spontane langreichweitige Ordnung beschreiben. In der Regel besitzen Materialien nur eine einzige dieser Eigenschaften: Sie können zum Beispiel ferromagnetisch oder ferroelektrisch sein. Multiferroika hingegen haben eine Art multipler Persönlichkeit, da sie mehrere Eigenschaften gleichzeitig besitzen und zum Beispiel gleichzeitig magnetisch und elektrisch polarisiert sein können.
Sparsamer schalten
Diese Kombination aus magnetischen und elektrischen Eigenschaften könnte ein neuartiges Konzept für künftige Computerchips ermöglichen. „Multiferroika würden uns erlauben, nichtflüchtige magnetische Bauelemente mit einem elektrischen Feld zu schalten“, erklärt Makarov. „Bislang braucht es dafür ein Magnetfeld, und dessen Erzeugung erfordert Energie und Platz.“ Der Paradigmenwechsel verspricht eine Reduzierung des Energieverbrauchs und könnte die Tür zu neuen, effizienteren Chiparchitekturen öffnen, speziell für KI-Anwendungen.
Bislang läuft die Suche nach neuen Multiferroika mit Hilfe eines systematischen Material- Screenings: Die Fachleute testen immer neue Materialkombinationen nach ihrer Tauglichkeit. Das Problem: Zwar hat die Fachwelt im Laufe der Zeit bereits einige hundert multiferroische Verbindungen gefunden. Diese aber funktionieren in der Regel nur bei tiefen Temperaturen und scheinen damit für einen Einsatz etwa im Smartphone wenig praktikabel.
Wellenstruktur als Schlüssel
Makarov möchte die Gelder des ERC Advanced Grants nutzen, um einen neuen Weg einzuschlagen. „Für gewöhnlich arbeitet die Fachwelt mit nanometerdicken ebenen Schichten, aufgetragen auf ein Substrat“, erläutert er. „Wir dagegen wollen es mit geometrisch gekrümmten, wellenförmigen Nanomenbranen versuchen.“ Als Ausgangspunkt sollen sogenannte Antiferromagnete dienen – Materialien, die eine spezielle Art von Magnetismus zeigen. Das Kalkül: Wenn diese Membranen wellenförmig gekrümmt sind, sollten die entstehenden mechanischen Spannungen dazu führen, dass die Materialien zusätzlich eine neue Eigenschaft namens Ferrotoroidizität erhalten, die sie auf eine spezielle Art für elektrische Felder empfänglich machen sollen. Auf diese Weise würden sie zu Multiferroika, bei denen sich magnetische Eigenschaften mit einem elektrischen Feld schalten lassen – die Grundlage für neuartige, energieeffizientere Computerchips.
Um seine Vision umzusetzen, will Makarov das Phänomen sowohl theoretisch beleuchten und per Computer simulieren als auch in Experimenten erforschen. Offen ist unter anderem, welche Form und Größe die nanoskaligen Wellenmuster im Detail haben müssen. Das Ziel: Nach fünf Jahren soll der Prototyp eines multiferroischen Schaltelements fertig sein. „Bisher konnte noch niemand nachweisen, dass sich die erhofften ferrotoroidischen Eigenschaften mit einer solchen Nanomembran erreichen lassen“, sagt Makarov. „Einige Teile des Puzzles kennen wir zwar schon, aber das Gesamtbild ist längst noch nicht fertig.“
Die Advanced Grants des Europäischen Forschungsrats ERC zählen zu den prestigeträchtigsten Fördergeldern der EU. In diesem Jahr vergibt der Rat insgesamt 652 Millionen Euro an 255 Forschende, um Grundlagenprojekte zu verfolgen, die zu großen wissenschaftlichen Durchbrüchen führen könnten. „ERC Grants sind nicht nur für die ausgezeichneten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sondern auch für ihre Institutionen ein Erfolg“, betont Prof. Sebastian M. Schmidt, wissenschaftlicher Direktor des HZDR. „Als HZDR sind wir stolz, dass unsere Forschenden nun bereits sieben ERC Grants eingeworben haben. Das belegt, dass wir die national und international besten Köpfe für unser Zentrum begeistern, mit optimalen Rahmenbedingungen exzellente Forschung ermöglichen und international wettbewerbsfähig sind. Ich gratuliere Denys Makarov herzlich zu diesem Erfolg.“